Jura-Studium
Meinungsstreit

Meinungsstreit in einer Jura-Klausur darstellen

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Tobias Escherich
Aktualisiert am 
1.1.2024
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Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Bearbeitung von Meinungsstreitigkeiten stellt in juristischen Klausuren und Hausarbeiten häufig einen Problemschwerpunkt dar. Die saubere Bearbeitung von Meinungsstreiten ist für eine erfolgreiche Klausur zentral.
  • Viele Studenten fokussieren sich auf das Auswendiglernen von Argumenten und vergessen dabei die methodisch saubere Bearbeitung von Problemen, dadurch gehen viele Punkte verloren.
  • In diesem Beitrag zeigen wir Dir, wie ein Streitstand in einer Jura-Klausur bearbeitet werden sollte.

Was ist ein Meinungsstreit?

Beim Meinungsstreit geht es darum, Fragen, welche sich bei der Anwendung von Gesetzen ergeben, zu klären. Zur Lösung von juristischen Streitständen werden in der Wissenschaft und Rechtsprechung normalerweise mehrere unterschiedliche Ansichten vertreten, woher auch der Name „Meinungsstreit“ kommt, da verschiedene Meinungen für die „richtige“ Lösung des Problems streiten.  

Als Klausurbearbeiter muss man in dieser Situation herausarbeiten, welche Ansicht überzeugender ist.
  • Beispiel Meinungsstreit im Strafrecht: Bei § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB stellt sich die Frage, ob eine abstrakte oder konkrete Lebensgefahr erforderlich ist. Der Wortlaut ist insoweit nicht eindeutig, da „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ sowohl bedeuten kann, dass die Handlung selbst in der konkreten Situation lebensgefährlich sein muss. Andererseits kann „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ auch so verstanden werden, dass die Handlung nur generell geeignet sein muss, das Leben zu gefährden, sodass in der konkreten Situation gerade keine Lebensgefahr vorliegen muss.
  • Beispiel Meinungsstreit im Zivilrecht: Bei § 536a Abs. 1 BGB stellt sich etwa die Frage, ob die verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters auch Integritätsschäden (z.B. Ersatz für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Zerstörung von Eigentum des Mieters) erfasst. Daran könnte man zweifeln, da dem Vermieter dadurch ein extrem hohes Risiko aufgebürdet würde. Deswegen vertritt eine Ansicht, dass § 536a BGB Integritätsschäden nicht erfasst, während nach der anderen Ansicht § 536a Abs. 1 BGB auch Integritätsschäden erfasst.  

Wie baut man einen Meinungsstreit auf?

Ein Meinungsstreit wird in drei Schritten dargestellt:

  1. Schritt: Problem einleiten.
  2. Schritt: Ansichten darstellen.
  3. Schritt: Juristische Argumentation.

Um einen Meinungsstreit überzeugend – und damit punkteträchtig – zu bearbeiten, ist es wichtig, den Meinungsstreit nah am Fall zu lösen und keine abstrakten, lehrbuchartigen Ausführungen aufzuschreiben. Klausurbearbeiter haben die Aufgabe, einen konkreten Sachverhalt rechtlich zu würdigen und nicht den Meinungsstand zu einem Problem in Literatur und Rechtsprechung darzustellen.

1. Schritt: Einleitung

Um den Meinungsstreit gut in die Lösung des konkreten Falls einzubetten, ist es wichtig, den Meinungsstreit einzuleiten. In der Einleitung sollte man erklären, weshalb sich das Problem im konkreten Fall stellt.  

  • Beispiel Strafrecht: Bei dem Problem, ob § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine abstrakte oder konkrete Lebensgefahr voraussetzt, könnte man beispielsweise schreiben: In dem vorliegenden Fall hat der Stich mit dem Messer keine Organe oder sonstige überlebenswichtige Körperfunktionen beeinträchtigt, sodass das Leben des Opfers nicht gefährdet war. Allerdings besteht bei entsprechenden Stichen das Risiko, dass lebenswichtige Funktionen beeinträchtigt werden, sodass die Handlung generell dazu geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden. Fraglich ist, ob eine solche abstrakte Lebensgefahr für § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ausreichend ist.
  • Beispiel Zivilrecht: Bei dem Problem, ob § 536a Abs. 1 BGB auch Integritätsschäden, etwa die Beschädigung eines Tisches durch eine einstürzende Decke erfasst, könnte man etwa schreiben: „Würde § 536a Abs. 1 BGB auch die Beschädigung des Tisches erfassen, würde der Vermieter einer extremen Haftung ausgesetzt, indem er den potenziellen Schadensumfang nicht überblicken kann, da die Ausstattung der Wohnung allein in der Hand des Mieters liegt. Deshalb ist fraglich, ob § 536a Abs. 1 BGB auch Integritätsschäden erfasst.“

2. Schritt: Ansichten darstellen

Umgang mit gelernten Problemen

Anschließend muss man die Ansichten darstellen und subsumieren. Hierfür muss man zuerst wissen, welche Ansichten zu dem Problem überhaupt vertreten werden. Wenn man die Ansichten auswendig gelernt hat, stellt dies keine große Hürde dar.  

Ansichten selbstständig entwickeln

Doch auch wenn man die Ansichten nicht beherrscht, etwa bei unbekannten Problemen, gibt es keinen Grund zur Sorge. Meistens kann man sich die Ansichten, die zu einem Problem vertreten werden, auch gut selbst herleiten, wenn man bedenkt, welche Ansichten typischerweise vertreten werden.  

Folgende Ansichten zu juristischen Problemen sind typisch:

  • Eine enge und eine weite Auslegung
  • Eine objektive und eine subjektive Auslegung
  • Eine formelle und eine materielle Auslegung  
  • Eine abstrakte und eine konkrete Auslegung  

Beispiel: Bei dem Problem, ob § 231 StGB auch die Situation erfasst, wenn eine Person an einer Schlägerei erst nach dem Eintritt der schweren Folge teilnimmt, wird zum einen vertreten, dass die Situation nicht erfasst wird, da eindeutig keine Beteiligung an der Herbeiführung der schweren Folge vorliegt (konkrete Auslegung). Auch wird vertreten, dass die Situation erfasst wird, da § 231 StGB insb. Beweisprobleme vermeiden möchte, die sonst wieder auftreten würden, sodass schon die Schaffung der abstrakten Gefahr, die von einer Schlägerei ausgeht, bestraft wird (abstrakte Auslegung).

Wenn man also die vertretenen Ansichten zu einem Problem nicht kennt, dann ist es empfehlenswert, sich zu überlegen, welches Auslegungspaar zu dem Problem passt. Daraus kann man dann ableiten, welche Ansichten dementsprechend vermutlich vertreten werden.  

Ein weiteres Hilfsmittel, um die vertretenen Ansichten zu entwickeln, ist der Sachverhalt. Wenn der Sachverhalt etwa Aussagen der Parteien zu dem Problem enthält, dann lässt sich daraus häufig schließen, welche Ansicht die Partei vertritt und damit höchst wahrscheinlich auch in der Literatur bzw. Rechtsprechung vertreten wird.  

Subsumtion unter die Ansichten

Nachdem man die Ansichten genannt hat, ist es wichtig, unter die Ansichten zu subsumieren. Dies ist wichtig, da man so vermeidet, einen Meinungsstreit ausführlich darzustellen, obwohl im konkreten Fall alle Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen, sodass die Argumentation überflüssig ist. Bezüglich der konkreten Darstellung, also ob man zuerst alle Ansichten nennt und anschließend subsumiert oder zuerst die eine Ansicht darstellt, subsumiert und dann die andere Ansicht darstellt und subsumiert, ist Geschmackssache. Bei der Darstellung der Ansichten sollte man die Ansicht, der man folgen möchte, zuletzt darstellen, da so die eigenen Ausführungen überzeugender wirken.

Selbstständiges Entwickeln der Ansichten

Eine Bearbeitung gewinnt stark an Qualität, wenn man nicht bloß die Ansichten darstellt, sondern man so tut, als würde man die Ansichten gerade selbst entwickeln. Denn als Klausurbearbeiter soll man nicht auswendig gelerntes Wissen „abspulen“, sondern einen Fall selbstständig rechtlich würdigen.  

Deswegen ist es sinnvoll, auf Aussagen wie „herrschende Meinung“, „Ansicht der Rechtsprechung“ o.ä. zu verzichten. Eine selbstständige Lösungsentwicklung gelingt, wenn man herausarbeitet, an welchem Punkt sich die Ansichten unterscheiden, indem man etwa darauf verweist, dass man eine Vorschrift weit oder eng, objektiv oder subjektiv, formell oder materiell usw. verstehen kann. Dadurch zeigt man, dass man den Meinungsstreit wirklich verstanden hat, da man herausarbeitet, in welchem Punkt sich die Ansichten unterscheiden.

Beispiel: Bei dem Problem, ob § 536a Abs. 1 BGB auch Integritätsschäden erfasst, könnte man entweder schreiben, dass man einerseits vertreten könnte, dass Integritätsschäden erfasst werden und andererseits vertreten könnte, dass nur vorhersehbare Integritätsschäden erfasst werden. Empfehlenswert ist es allerdings, wenn man herausarbeitet, dass man § 536a Abs. 1 BGB einerseits eng verstehen könnte, indem nur vorhersehbare Integritätsschäden erfasst werden. Andererseits könnte man § 536a Abs. 1 BGB auch weit verstehen, sodass jeder Schadensposten erfasst wird.  

3. Schritt: Juristisches Argumentieren

Wenn man in der Subsumtion unter die beiden Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen ist, dann besteht die Aufgabe des Klausurbearbeiters darin zu entscheiden, welche Ansicht überzeugender ist. Man muss also für und gegen die jeweiligen Ansichten argumentieren.  

Bei der Argumentation sollte man stets im Blick haben, dass es im ersten Staatsexamen primär darauf ankommt, zu einem vertretbaren Ergebnis zu kommen. Man muss also nicht stets „blind“ dem BGH oder der herrschenden Meinung folgen. Gleichzeitig sollte man allerdings bedenken, dass es immer wieder Klausuren gibt, die auf bestimmte Probleme angelegt sind. Sollte man in der Klausur merken, dass die Ansicht, der man folgen möchte, zur Konsequenz hätte, dass man ein in der Klausur angelegtes Problem nicht bearbeiten würde, ist es empfehlenswert, der Ansicht zu folgen, die dazu führt, dass man das Problem bearbeiten kann. Denn sonst droht man Punkte zu verlieren, auch wenn man in der eigenen Lösung richtigerweise nicht zu dem Problem kommt.  

Um dieses Problem zu vermeiden,Alternativ kann man auch ein Hilfsgutachten schreiben, damit man sich das Klausurproblem nicht abschneidet. Allerdings enthält fast keine Klausurlösungsskizze ein Hilfsgutachten, sodass man von der Klausurlösungsskizze abweicht, wenn man ein Hilfsgutachten schreibt. Problematisch daran ist, dass einige Korrektoren alternative Lösungsansätze nicht durchdenken und diese schlicht als falsch bewerten. Deswegen besteht für Euch das Risiko, dass die Ausführungen, die von der Lösungsskizze abweichen, als falsch bewertet werden. Um dieses Risiko zu vermeiden, lohnt es sich, den Weg einzuschlagen, der vermutlich der Lösungsskizze entspricht.

Auslegungskanones: Argumente in einer juristischen Klausur

Das Ziel der Argumentation besteht darin, die „richtige“ Auslegung des Gesetzes zu ermitteln. Grundsätzlich gibt es vier verschiedene Möglichkeiten das Gesetz auszulegen. Es gibt die grammatikalische Auslegung (Wortlaut), systematische Auslegung (Systematik), historische Auslegung (Historie) und die teleologische Auslegung (Telos), die den Zweck der Vorschrift betrachtet. Anhand dieser vier Auslegungsmethoden muss man entscheiden, welche der Ansichten überzeugender ist. Bei allen Auslegungsmethoden ist es wichtig, dass man nicht nur sagt, zu welchem Ergebnis die Auslegung kommt, sondern das Ergebnis der Auslegung herleitet.

Argumentation mit dem Wortlaut

Bei der grammatikalischen Auslegung ermittelt man, wie das Gesetz unter Anwendung des natürlichen Sprachgebrauchs zu verstehen ist. Der Wortlaut ist häufig nicht geeignet, ein eindeutiges Ergebnis zu liefern, da mehrere Deutungsmöglichkeiten bestehen. Selbst wenn das Ergebnis eindeutig ist, handelt es sich bei der Auslegung anhand des Wortlauts um die Auslegung mit dem geringsten Gewicht, da für die Auslegung der Zweck einer Vorschrift von höherer Bedeutung ist.  

Eine Ausnahme gilt allerdings im Strafrecht. Aufgrund von Art. 103 II GG gilt im Strafrecht die Wortlautgrenze, sodass der Wortlaut bei der Auslegung des Gesetzes nicht überschritten werden darf, sodass insbesondere keine Analogie und teleologische Reduktion zu Lasten des Täters möglich sind (Zur Analogie und tele. Reduktion: Siehe hier).

Argumentation mit der Systematik

Bei der systematischen Auslegung schaut man, ob sich aus der Struktur des Gesetzes Rückschlüsse zur Lösung des Problems ziehen lassen. Systematische Argumente sind häufig sehr anspruchsvoll, da man ein gutes juristisches Verständnis benötigt, um aus der Struktur des Gesetzes Rückschlüsse ziehen zu können. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass man mit systematischen Argumenten viele Punkte sammeln kann, da der Korrektor solche Argumente nur selten lesen wird, sodass man sich von den anderen Bearbeitungen abheben kann. Allerdings sollte man sich nicht „auf gut Glück“ systematische Argumente ausdenken, da dann das Risiko hoch ist, dass das Argument falsch ist, sodass man dem Korrektor zeigt, dass Defizite im juristischen Verständnis bestehen.

Argumentation mit der Historie

Bei der historischen Auslegung schaut man, ob sich Rückschlüsse für die Entscheidung des Problems aus der Geschichte des Gesetzes ergeben. Die historische Auslegung ist für die Klausurpraxis nahezu irrelevant, da man in der Klausur keinen Zugriff auf die Gesetzgebungsmaterialien hat und normalerweise keine Kenntnis erwartet wird.

Argumentation mit dem Telos

Bei der teleologischen Auslegung versucht man Rückschlüsse für die Lösung des Problems aus dem Zweck des Gesetzes zu ziehen. Man schaut also, welches Ziel das Gesetz verfolgt und überlegt, welche der Ansichten dem Zweck des Gesetzes eher entspricht. Für juristische Probleme ist der Zweck des Gesetzes von zentraler Bedeutung, da eine dem Zweck des Gesetzes entsprechende Auslegung hilft, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel auch in dem konkreten Einzelfall zu erreichen.

  • Beispiel Strafrecht: Der Zweck des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB besteht darin, das menschliche Leben vor lebensgefährlichen Handlungen zu schützen. Es reicht somit aus, dass die Handlung allgemein dazu geeignet ist, das menschliche Leben zu gefährden, eine konkrete Gefahr ist somit nicht erforderlich.
  • Beispiel Zivilrecht: Der Zweck des § 536a Abs. 1 BGB besteht darin, den Mieter zu schützen, indem sich der Mieter in den Räumen aufhält und seine Sachen dort aufbewahrt, sich also einem hohen Risiko aussetzt. Auch kann ein Mieter die Gefahr für sich und seine Sachen viel schlechter einschätzen als der Vermieter, indem er weniger Wissen über die Bausubstanz usw. hat. Wegen des hohen Wissensgefälles und der Schutzbedürftigkeit des Mieters erhält der Mieter einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch. Der Zweck des § 536a Abs. 1 BGB ist somit auch bei Integritätsschäden einschlägig, sodass das Telos der Norm dafür spricht, Integritätsschäden ebenfalls zu erfassen.

Aufbau der Argumentation

Auch in der Argumentation ist es allerdings wichtig zu bedenken, dass man in einer juristischen Klausur nur begrenzt Zeit hat. Man steht also vor der Herausforderung, dass man so wenig schreibt wie möglich schreibt, um genügend Zeit für die anderen Probleme zu haben, aber so viel schreibt wie nötig, dass man möglichst alle Punkte erhält, die man in diesem Prüfungspunkt erhalten kann. Dieses Problem löst man dadurch, dass man sich darauf beschränkt, nur drei Argumente zu nennen.  

Zuerst nennt man ein Argument für die Ansicht, der man nicht folgen möchte. Anschließend nennt man zwei (oder mehr) Argumente für die Ansicht, der man folgen möchte. Ein solches Vorgehen hat den Vorteil, dass es zeiteffizient ist, da man keine unendlich lange Argumentation schreibt. Gleichzeitig ist die Bearbeitung aber lang genug, um sich dem Problem umfassend zu widmen. Auch führt das Übergewicht an Argumenten für die Ansicht, der man folgt, dazu, dass die eigene Argumentation überzeugend wirkt. Alternativ kann man auch zuerst ein Argument für die Ansicht nennen, der man folgen möchte, um dieses anschließend mit einem Argument für die Gegenansicht zu entkräften, um dann zum Schluss das stärkste Argument für die Ansicht zu nennen, der man folgen möchte. Welches Vorgehen man hier wählt, ist Geschmackssache.

Indem der Zweck für die Auslegung von höchster Bedeutung ist, bietet es sich an, innerhalb der Argumentation mit dem Wortlaut und der Systematik zu beginnen und zum Schluss zum Telos zu kommen. Auch sollte man in einer Klausur die „Buzzwords“ „Wortlaut“, „Systematik“ und „Telos“ verwenden, damit der Korrektor schnell erkennt, dass man die juristischen Auslegungsmethoden beherrscht.

Beispiel für Darstellung eines Meinungsstreits

Problem

Bei einem Haus stürzt ein Teil vom Dach ein, wodurch ein Tisch des Mieters beschädigt wird. Erfasst § 536a Abs. 1 BGB auch Integritätsschäden oder nur Mangelschäden?

Problemdarstellung  

Bei der Beschädigung des Tisches handelt es sich allerdings nicht um einen Mangelschaden, sondern um eine Beeinträchtigung weiterer Rechtsgüter des Mieters, also um einen Integritätsschaden. Wenn § 536a Abs. 1 BGB auch diese erfassen würde, dann wäre der Vermieter einem unüberschaubaren Risiko ausgesetzt, sodass es zweifelhaft ist, ob § 536a Abs. 1 BGB auch Integritätsschäden erfasst.  

Man könnte hierzu einerseits vertreten, dass eine Haftung für alle Schäden zu weit ginge, sodass § 536a Abs. 1 BGB eng auszulegen ist und lediglich vorhersehbare Integritätsschäden erfasst. Indem der Schaden hier nicht vorhersehbar war, läge nach dieser Ansicht kein ersatzfähiger Schaden vor. Andererseits könnte man auch vertreten, dass § 536a Abs. 1 BGB weit zu verstehen ist und deshalb alle Schäden erfasst, sodass auch in der vorliegenden Situation ein ersatzfähiger Schaden vorläge. Indem beide Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid erforderlich.  

Für die erste Ansicht spricht, dass der Vermieter sonst einer extrem weiten Haftung ausgesetzt würde. Schließlich sind viele Risiken auch für den Vermieter nicht zu erkennen. Indem der Vermieter auch den Schaden nicht überblicken oder beeinflussen kann, könnte man es als unbillig ansehen, den Vermieter für Schäden haften zu lassen, die er weder beeinflussen noch überblicken kann.  

Dagegen spricht allerdings, dass der Wortlaut des § 536a Abs. 1 BGB gerade eine solche Ausnahme nicht vorsieht. Indem grundsätzlich auch Mangelfolgeschäden erfasst werden und der Wortlaut der Norm keine Ausnahme vorsieht, kann man aus dem Schweigen des Gesetzes schließen, dass der Wortlaut gegen eine solche Ausnahme spricht.  

Auch das Telos spricht für die zweite Ansicht, denn der Zweck des § 536a Abs. 1 BGB besteht darin, den Mieter zu schützen, indem sich der Mieter in den Räumen aufhält und seine Sachen dort aufbewahrt, sich also einem hohen Risiko aussetzt. Auch kann ein Mieter die Gefahr für sich und seine Sachen viel schlechter einschätzen als der Vermieter, indem er weniger Wissen über die Bausubstanz hat. Wegen des hohen Wissensgefälles und der Schutzbedürftigkeit des Mieters erhält der Mieter einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch. Die Schutzbedürftigkeit und das Wissensgefälle liegen allerdings auch bei Integritätsschäden vor, sodass der Zweck des § 536a Abs. 1 BGB ebenfalls einschlägig ist, sodass das Telos der Norm dafür spricht, Integritätsschäden ebenfalls zu erfassen.  

Somit sprechen die besseren Argumente für die zweite Ansicht, sodass es sich bei dem Tisch um einen ersatzfähigen Schaden handelt.

Darstellung, wenn der Streitentscheid entbehrlich ist

Bisher haben wir Euch erklärt, wie man einen Auslegungsstreit löst, bei dem die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, sodass eine Argumentation erforderlich ist. Doch wie geht man mit der Situation um, wenn beiden Ansichten zu dem gleichen Ergebnis kommen. In einer solchen Situation wäre es überflüssig – und damit falsch – ausführlich zu argumentieren, welche der beiden Ansichten überzeugender ist. Stattdessen stellt man in einer solchen Situation nach der Subsumtion fest, dass beide Ansichten zu dem gleichen Ergebnis kommen. Mehr muss man nicht schreiben, denn wenn beide Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen, handelt es sich nicht um einen Klausurschwerpunkt, sodass man an dieser Stelle ohnehin nicht viele Punkte sammeln kann.  

Streitentscheid bei erheblichen Zeitproblemen

Insbesondere am Ende der Bearbeitungszeit einer Klausur kann es vorkommen, dass man fast keine Zeit mehr hat, aber noch eines oder mehrere Klausurprobleme bearbeitet werden müssen. In einer solchen Situation steht der Klausurbearbeiter vor der Herausforderung, in der verbleibenden Zeit so viele Punkte wie möglich zu holen. Für die Lösung einer Klausur ist es sehr wichtig, zu einem Ergebnis zu kommen, da nur dann die Ausgangsfrage beantwortet wird. Somit ist es zu empfehlen, die weitere Bearbeitung so knapp zu halten, dass man es gerade noch schafft, zu einem Ergebnis zu kommen. Man muss also häufig die weiteren Ausführungen auf das absolut Notwendige reduzieren.  

Hierfür bietet es sich zum einen an, den Feststellungs- und verkürzten Gutachtenstil (Mehr zum Gutachtenstil und zum verkürzten Gutachtenstil) überall dort zu nutzen, wo sich keine Probleme befinden, denn an den Stellen gewinnt man ohnehin nicht viele Punkte, sodass man mit knappen Ausführungen auch fast keine Punkte verliert. Doch dies wird üblicherweise nicht ausreichen.  

Zusätzlich ist es meistens auch erforderlich, die Problemdarstellung zu verkürzen. In der Einleitung des Problems, der Darstellung der Ansichten und der Subsumtion unter die Ansichten lässt sich wenig Zeit sparen. Insbesondere auf die Einleitung sollte man nicht vollständig verzichten, da die Einleitung die Falllösung mit dem abstrakten Problem verbindet.  

Allerdings kann man in der Argumentation Zeit sparen, ohne zu viele Punkte zu verlieren. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten, welche den Schreibaufwand stark reduzieren. Zum einen kann man die Argumentation für die Ansicht, der man nicht folgen möchte, streichen und sich bei der Argumentation für die Ansicht, der man folgen möchte, auf das stärkste Argument beschränken und daraus folgern, dass diese Ansicht überzeugt. Alternativ kann man auch nur gegen die Ansicht argumentieren, welcher man nicht folgen möchte, und daraus folgern, dass diese Ansicht abzulehnen ist, mit dem Ergebnis, dass der anderen Ansicht zu folgen ist. Mit diesen beiden Möglichkeiten reduziert man die Begründung stark und schafft es so, die Klausur noch fertig zu schreiben.

Häufig gestellte Fragen

Was sind Streitstände?
Wenn zu einem juristischen Problem verschiedene Ansichten vertreten werden, dann "streiten" mehrere Ansichten für die richtige Lösung des Problems. In Klausuren und Hausarbeiten haben Klausurbearbeiter die Aufgabe, herauszuarbeiten, welche Ansicht überzeugt.
Was ist ein Meinungsstreit?
Wenn zu einem juristischen Problem verschiedene Ansichten vertreten werden, dann streiten unterschiedliche Ansichten für die richtige Lösung des Problems, daher auch der Name Meinungsstreit. In Klausuren und Hausarbeiten haben Klausurbearbeiter die Aufgabe, herauszuarbeiten, welche Meinung überzeugt.